Macht der Bilder: Omran in Aleppo © 2016 Mustafa al-Sarout | remixed from theguardian.com

Wer diese Bilder nicht versteht, dem ist nicht zu helfen

Die Bilder des 5-jährigen Omran Daqneesh nach einem Bombenangriff in Aleppo schockieren derzeit die Welt. Dabei passiert das jeden Tag. Und dann sieht keiner hin. Ein Kommentar.

Der süße Struwwelkopf, die kleine Ärmchen, die Beine, die gerade bis an die Sitzkante im Krankenwagen reichen. Omran Daqneesh hat in der eingeschlossenen syrischen Stadt Aleppo einen Bombenangriff nur leicht verletzt überlebt. Nun sitzt er apathisch und mit glasigem Blick da und scheint nicht zu verstehen, was vor sich geht.

Es ist wieder ein Sinnbild für den Krieg und die Flüchtlinge und das unnötige Leiden und Sterben in Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg in Syrien wie letztes Jahr im September das Foto des 3-jährigen Aylan Kurdi, der auf der Flucht nach Griechenland ertrunken und in der Türkei angespült worden ist.

Aylan ist – wie ein Video von AFP bei der F.A.Z. andeutet – ein ikonisches Bild für das unsichtbare Leiden, perfekt geeeignet für die Logik der Sozialen Medien, unserer vorrangig optischen Wahrnehmung und unserer kurzen Aufmerksamkeitsspanne für das, was außerhalb unserer Lebenswelt stattfindet.

Dasselbe gilt jetzt auch für Omran. Auch er ist ein Sinnbild, dass uns aus dem seit Jahren andauernden Hintergrundrauschen der Kriegsberichterstattung erreicht. Zum Glück musste der nicht mit dem Leben dafür bezahlen, wenigstens kurz einmal unsere Aufmerksamkeit zu erhaschen.

Bilder sind die Arschtritte der Wirklichkeit

Wir nennen uns ein Arschtrittmagazin, weil einerseits manche Leute einen solchen brauchen und weil andererseits die Unflätigkeit des Ausdruckes bei einigen wenigstens ein bisschen Aufmerksamkeit erregt. Dieser Umstand folgt derselben Logik wie die genannten Bilder: Aus dem Rauschen herauszuragen.

Aber wieso muss ein Krieg überhaupt aus dem Rauschen herausragen? Ist er nicht in seiner gesamten Länge und Breite und allem was dazu gehört schon schrecklich genug, um unsere Aufmerksamkeit zu erringen? Benötigen wir erst einen Aktivisten wie Mustafa al-Sarout, welcher den Schockcharakter des Bildes von Omran erkennt und mit der Kamera draufhält, um aufzuwachen?

Scheinbar ja schon. Aber ich zeige Dir mal etwas. Ganz einfache Bilder. Mit leiser Musik unterlegt, gebaut nach dem schlichten Vorher-Nachher-Prinzip. Sie wurden von Carlo Ohanian in Aleppo aufgenommen und zeigen, was der Krieg aus der Stadt gemacht hat. Es sind Bilder, die ganz so aussehen, wie die Schutthäufen, die 1945 von deutschen Städten übrig geblieben waren.

Ich weiß, die deutschen Städte von 1945 sind abstrakt und gehen uns nichts an, weil sie so weit in der Geschichte zurückliegen, und die syrischen Städte von heute sind abstrakt, weil sie so weit in Syrien liegen. Außerdem zeigen diese Bilder nur zerstörte Häuser. Die interessieren ja keinen.

Hinter den Bildern stehen Menschen

Aber das stimmt halt leider nicht. Die Häuser interessieren die Meschen, die bislang darin gewohnt haben und die sich jetzt in irgendwelchen Kellern verkriechen. Menschen, die Angst um ihr Leben hatten, als das Haus noch stand, und jetzt Angst um ihr Leben haben, auch wenn sie immer noch einen Keller haben. Menschen, die uns näher sein sollten, weil sie nicht “nur” von 1945 oder “nur” aus Syrien sind, sondern zu 99 % dieselbe DNA haben wie wir.

Wer auf Grund dieser Bilder nicht versteht, warum wir helfen müssen, wer auf Grund dieser Bilder nicht einmal versteht, warum diese Menschen da weg und zu uns in Sicherheit kommen wollen, dem ist nicht zu helfen. Geh doch einmal raus vor Dein Haus, sieh die Straße runter und rauf und stelle Dir das als Vorher zu einem solchen Nachher wie auf den Bildern von Carlo vor. Würdest Du nicht auch … aber, ach, diese Frage zu stellen erübrig sich ja eigentlich, oder? Oder?

Im folgenden Film geht es um Menschen, die bereits aus Aleppo geflüchtet sind, aber noch Angehörige dort haben. Angehörige, denen wir helfen könnten.

Es mag ja sein, dass die Macht dieser Bilder nicht so groß ist, wie die Macht der Bilder von Omran oder Aylan. Aber hinter den meisten zerstörten Häusern und den vielen alten Menschen verstecken sich auch Kinder – falls wir wirklich unbedingt Kinder brauchen, um aufmerksam zu werden. Man sieht sie eben nur gerade nicht. Aber vielleicht will man sie auch gar nicht sehen. Oder mehr noch: Man will gar nicht wissen, dass sie da sind.

Für den Guardian hat Kareem Shaheen Mustafa al-Sarout, den Mann, welcher Omran gefilmt hat, interviewt. Der Spiegel hat das für uns übersetzt:

Dennoch sei er überrascht, für wie viel Aufmerksamkeit die Bilder gesorgt hätten, sagte Sarout – weil sie für ihn Alltag sind. “Diese Kinder werden jeden Tag bombardiert. Es ist kein außergewöhnlicher Fall”, zitiert ihn die Zeitung. “Dieses Kind steht für Millionen syrische Kinder.”

Daran etwas zu ändern, könnten wir schon schaffen. Nur wollen würden wir schon müssen.

Verwendetes Bild: © 2016 Mustafa al-Sarout | remixed from theguardian.com.

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