Familiengründung bei Akademikerinnen

In Deutschland ist inzwischen jede vierte Erstgebärende über 35 Jahre alt. Andererseits werden Erstgebärende, die noch nicht die Volljährigkeit erreicht haben immer jünger. Was scheinbar wegfällt bzw. immer weniger wird, sind Geburten im biologisch besten Alter, das betrifft Frauen zwischen 25 und 35 Jahren.

Fragt man sich, wo die Gründe für diese Extreme liegen, ist es erst einmal wichtig, genauer zu betrachten, aus welchen sozialen Gruppen sich die Gebärenden zusammensetzen. Auffällig ist: Frauen aus sozial prekären Verhältnissen werden immer jünger, Akademikerinnen immer älter, wenn sie Mütter werden.

Gründe für die Altersverschiebung: Ein erfolgreiches Studium

Die Anforderungen, welche Ausbildung und Beruf an eine junge Frau stellen, machen eine frühe Familiengründung nur schwer möglich. Um einen guten Job zu bekommen und sich hier selbst verwirklichen zu können, sind neben einem gut abgeschlossenen Studium Praktika, Auslandsaufenthalte, die Teilnahme an Konferenzen und Netzwerken unumgänglich.

Oft denken junge Frauen während des Studiums berechtigterweise noch gar nicht an Familienplanung. Es geht darum, sich erst einmal selbst zu finden und seinen Weg zu machen. Auch andere Faktoren erschweren den Prozess bzw. tragen dazu bei, dass sich der passende Zeitpunkt nach hinten verschiebt: Ortswechsel durch Auslandsaufenthalte, Praktika in anderen Städten sowie den obligatorischen Studienortswechsel. Diese Faktoren verlängern folglich nicht nur die Ausbildungszeit. Es verschiebt sich gleichzeitig der Zeitpunkt zu dem man sesshaft wird und geordnete Strukturen im Alltag eine stabile Partnerschaft und somit die Möglichkeit einer Familiengründung überhaupt gegeben ist.

Gründe für die Altersverschiebung: Berufseinstieg und Absicherung

Gleichzeitig ist berechtigterweise nach einem erfolgreich abgeschlossenen Studium erstmal das Bedürfnis da, beruflich Fuß zu fassen. Verbunden damit ist der Wunsch junger emanzipierter Frauen, finanziell unabhängig und abgesichert zu sein. Von einem potentiellen Partner abhängig zu sein und somit an Selbständigkeit was Versorgung und Unabhängigkeit angeht zu verlieren, kommt für junge Frauen heute gar nicht in Betracht und ist auch eine Erwartung, die Männer heute an eine potentielle Partnerin stellen. Doch dazu gehört, erst einmal in den Beruf einzusteigen und sich hier zu konsolidieren. Und das kostet wiederum eines: Zeit.

Hiermit ist nicht nur die Dauer gemeint, bis dieses Ziel erreicht ist, sondern auch die Arbeitsbelastung und damit das zeitliche Eingebunden sein im Alltag. Im Schnitt benötigt eine Akademikerin im Bereich der Geisteswissenschaften zwei bis drei Jahre bis sie nach Ihrem Studium eine Festanstellung im gewünschten Bereich findet. Gefordert wird neben dem erfolgreichen akademischen Abschluss Berufserfahrung und die erhalten Akademikerinnen im geisteswissenschaftlichen Bereich häufig über Praktika, Volontariate oder über die Selbstständigkeit als Freiberufler. Oft laufen diese Dinge parallel zu Weiterbildungsmaßnahmen, so dass ein 60 bis 80 Stundenwoche keine Seltenheit ist. Hinzu kommen die Anforderungen flexibel und ständig verfügbar zu sein. Kein Wunder konzentrieren sich junge Frauen in dieser Berufseinstiegsphase auf ihre Arbeit, nebenher ein Kind zu bekommen, groß zu ziehen und eine Familie zu managen erscheinen beinahe unmöglich.

Ist der berufliche Einstieg geglückt, steht vielleicht noch der Wunsch einer Dissertation oder einer anderen Weiterqualifikation im Raum, zum einen, um sich finanziell abzusichern und zum anderen, um sich auch selbst zu verwirklichen. Um die gewünschte Position zu erreichen, sind dann jedoch häufig zusätzliche Weiterqualifikationen nötig, oft im Bereich wirtschaftlichen, rechtlichen und/oder im Management. Diese laufen neben der Vollzeitstelle und schon eine Partnerschaft und die Pflege von Freundschaften und Familie in den Alltag zu integrieren wird eine Herausforderung.

Gründe für die Altersverschiebung: Fazit

Rechnen wir mit einem durchschnittlichen Studienabschluss im Alter von 25, hinzu eine Berufseinstiegsphase von 3 Jahren und schließlich die nebenberufliche Weiterbildung und Konsolidierung mit nochmals drei und fünf Jahren, kommen wir zu folgendem Ergebnis: Hat die Frau ihre berufliche Konsolidierung abgeschlossen, ist selbständig und steht auf eigenen Beinen, ist Sie so locker Anfang bis Mitte 30. Bei einer durchschnittlichen 60 Stunden Woche blieb hier bisher wenig Zeit für Familienplanung „nebenher“.

Die Auswertung dieser statistischen Angaben deckt sich tatsächlich mit meinem persönlichen Erleben und auch den Erfahrungen, die ich im Freundeskreis beobachte. Einzelne Ausnahmen ausgenommen, begannen die meisten meiner Freundinnen wie ich selbst auch erst Mitte 30 damit über eigenen Nachwuchs nach zu denken und das „Kinder kriegen“ in Angriff zu nehmen.

Einen Faktor berücksichtigte jedoch keine Statistik, sie ist jedoch nicht unerheblich: damit Familienplanung überhaupt funktioniert, gehört jedoch auch das Finden eines passenden Partners dazu. Man möchte sich kennen lernen, vielleicht auch erstmal zusammen wohnen, bevor man sich für gemeinsamen Nachwuchs entscheidet. Auch dies sind Gründe, die den oben beschriebenen Prozess weiter verzögern.

Vorteile einer späten Mutterschaft

An und für sich muss die späte Familienplanung kein Nachteil sein. Studien zeigen, dass Frauen heute weniger schnell altern als noch vor ein oder zwei Generationen. Zwar nimmt das Risiko an Chromosom Störungen mit erhöhtem Alter zu, allerdings ist die Wachstumsrate so gering, dass sich „die Betreuung einer 38-jährigen Schwangeren heute nicht von der einer 28-jährigen Schwangeren unterscheidet“ (Annette Nolden). Lediglich rechtlich und finanziell sind das Aufklärungsprozedere für eine theoretisch gegebene Möglichkeit von Risiken und damit verbundene Untersuchungsverfahren der Pränataldiagnostik aufwändiger.

Tatsächlich entscheiden sich viele Frauen über 35 ganz bewusst für eine Schwangerschaft. Oft müssen ältere Frauen länger warten, bis die Schwangerschaft eintritt. Dies ist zum einen bedingt durch Stress in Alltag und Job, zum anderen jedoch auch durch die Tatsache, dass ab 35 die Fruchtbarkeit nachlässt und ab 40 Jahren gar auf die Hälfte einer 25jährigen gesunken ist. Tritt dann die gewünschte Schwangerschaft endlich ein, sind ältere Mütter häufig auch bewusster im Umgang mit sich und ihrem Körper. Sie ernähren sich gesünder, treiben regelmäßig Sport und achten mehr auf sich, so dass Risiken für Schädigung im Mutterleib minimiert werden und häufig geringer sind als bei sehr jungen Müttern. Gesamt gesehen wirken sich die positive Einstellung und die gesunde Lebensweise in vielen Bereichen positiv auf die Schwangerschaft und Geburt aus, wie Annette Nolden und Prof. Dr. Franz Kainer konstatieren.

Auch ist auch erwiesen, dass Frauen, die beruflich gesetzt, finanziell abgesichert sind und sich im Leben bereits verwirklicht haben, sich in einer Lebensphase befinden, in welcher sie sich stärker auf das Kind einlassen und tatsächlich oft geduldiger und liebevoller im Umgang mit dem Nachwuchs sind. Stress-Faktoren, die sich negativ auf die Entwicklung eines Kindes auswirken wie Unsicherheiten der Mutter, finanzielle Unsicherheit, Partnerschaftprobleme und Scheidung, finden sich bei Paaren, die spät eine Familie gründen seltener.

Tatsächlich hat sich herausgestellt, dass Stress, finanzielle Unsicherheit und ein unreifes und unverantwortliches Verhalten der Mutter der frühkindlichen Entwicklung schaden und schon im Mutterleib erhebliche Schädigungen hervorrufen. Studien haben gezeigt, dass Kinder die unter solchen Bedingungen heranwachsen oft kleinere Gehirne haben und auch von Depression, Übergewicht und sogar einem früheren Altersprozess bedroht sind. Der Spiegel widmete diesem Diskurs in der letzten Ausgabe ein eigenes Titelthema.

Nachteile einer späten Mutterschaft

All dies sind Gründe, die für eine späte Mutterschaft sprechen. Allerdings gilt es zu bedenken, dass sich aus der späten Mutterschaft auch Nachteile ergeben. Die Fruchtbarkeit der Frau geht wie gesagt bereits mit 35 Jahren zurück, um dann mit 40 auf die Hälfte ab zu sinken. Manche Frauen, die sich schon lange Kinder wünschten und aufgrund der oben geschilderten Umstände früher nicht die Möglichkeit hatten, stehen vor der schwierigen Situation, dass ein später Kinderwunsch vielleicht gar nicht mehr zu realisieren ist und das trotz Fortschritten in der Fortpflanzungsmedizin.

Dies kann das eigene Verständnis als Frau stark erschüttern und zu einer Identitätskrise führen, die im schlimmsten Fall in einer Despression mündet. Auch die Partnerschaft kann durch eine solche Problematik erheblich gestört werden. Viele Paare, haben Schwierigkeiten die Enttäuschung zu überwinden und mit der Tatsache der Kinderlosigkeit zu leben. Wenn dann die Schuld auf den Partner geschoben wird, vielleicht auch Selbstvorwürfe und eine Erschütterung des Selbstbildes die Kommunikation stören, ist dies auch immer wieder Grund für eine Trennung.

Gesellschaftliche Verantwortung

Die dargelegte Situation zeigt ein Dilemma, in welchem viele Frauen stecken. Gerade Akademikerinnen sind heute emanzipiert und verfolgen das berechtigte Ziel unabhängig von einem männlichen „Versorger“, beruflich selbständig zu sein und für sich sorgen zu können. Gleichzeitig ist es ein natürliches Bedürfnis, sich auch als Frau zu verwirklichen und Mutter werden zu wollen. Doch sind wie dargelegt die gesellschaftlichen Strukturen hier in Deutschland nicht so, dass beides gleichzeitig zu verwirklichen ist.

Tatsächlich leben viele alleinerziehende Mütter an der Armutsgrenze und Kinder mit nur einem Elternteil sind häufig von Kinderarmut bedroht. Folglich erscheint es fast eine Notwendigkeit zu sein, erst das eine Bedürfnis, das nach sozialer und finanzieller Absicherung durch berufliche Konsolidierung und dann das andere Bedürfnis, nach Verwirklichung als Frau und Mutterschaft, zu verwirklichen. Problematisch wird es auch, wenn ein Netzwerk an Familie und Verwandten nicht vorhanden ist, welche die Kinderbetreuung unterstützen.

Meines Erachtens wäre es hier Aufgabe des Staates und auch der Arbeitgeber, Strukturen zu schaffen, die Frauen beides ermöglichen.

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